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Bücherverbrennung in Erfurt am 29. Juni 1933
Dass in Erfurt eine Bücherverbrennung stattfand, wurde erst achtzig Jahre später wiederentdeckt. Eike Küstner und Ida Spirek von Stattreisen Erfurt e. V. fanden bei Recherchen im Stadtarchiv Berichte über eine Bücherverbrennung am 29. Juni 1933 in der Thüringer Allgemeinen Zeitung (TAZ) und der Mitteldeutschen Zeitung (MZ).
Erfurt, damals preußisch und nicht zum Land Thüringen gehörend, war einer von elf Orten, an denen 1933 auf dem Gebiet des heutigen Freistaats die Bücher jüdischer, oppositioneller und politisch unliebsamer Schriftsteller und Schriftstellerinnen verbrannt wurden: Allstedt (22. April, Marktplatz), Hirschberg/Saale (2. Mai, Marktplatz), Oldisleben (12. Mai, Schulplatz), Mühlhausen (20. Mai, Blobach), Hildburghausen (22. Mai, Marktplatz), Niedergrunstedt bei Weimar, heute Ortsteil von Weimar (21. Juni 1933, Auf der Anhöhe), Erfurt (29. Juni, Sportplatz an der Cyriaksburg), Kahla (5. August, Sportplatz), Altenburg (11. August, Auf dem Anger), Jena (26. August, Marktplatz) Nordhausen (10. November, Markt). An mindestens fünf Orten war maßgeblich die Hitlerjugend (HJ), die Jugendorganisation der NSDAP, beteiligt.
Am 26. August 1933 verbrannten Hitlerjugend und NSDAP-Betriebszellenorganisation Bücher und rote Fahnen auf dem Markt in Jena, um ein Jahr nationalsozialistische Regierungsübernahme in Thüringen zu feiern.
© Stadtarchiv Jena
Im damaligen Thüringen regierte bereits seit August 1932 die NSDAP unter Führung von Fritz Sauckel, seit 1927 NSDAP-Gauleiter in Thüringen. Bereits in den ersten Wochen nach ihrem Machtantritt beschloss die Regierung Sauckel die flächendeckende „Säuberung“ aller kommunalen Büchereien von „undeutschen Büchern und Schriften“. Im preußischen Erfurt war am 24. Juni 1933 ein großes „Fest der deutschen Jugend“ geplant. Es war der erste Samstag nach der Sommersonnenwende am 21. Juni, der kürzesten Nacht im Jahr, an dem traditionell Sonnenwendfeiern stattfinden. Die Arbeitgeber in Erfurt wurden aufgefordert, den Jugendlichen für die Teilnahme freizugeben. Koordiniert vom städtischen „Ortsausschuss für Jugendpflege“ sollten Jugendverbände und -vereine Sportwettkämpfe, Spiele und Tänze in der Mitteldeutschen Kampfbahn, dem heutigen Steigerwaldstadion, präsentieren. Das Programm zeigt durch Punkte wie „Maschinengewehr-Hindernislauf“ (TAZ, 27. Juni 1933) den militärischen Charakter, mit dem Veranstaltungen dieser Art die Jugendlichen bereits für den Krieg mobilisieren sollten.
Datierung und Ablauf des Abends waren ideologisch begründet und instrumentalisierten die Tradition der Sommersonnenwende für die Ziele der Nationalsozialisten. Im Anschluss an die Sportwettkämpfe sollte ein Lichtsignal vom Bismarckturm eine Inszenierung starten, in der rings um Erfurt „nach altgermanischem Brauche Leuchtfeuer auflodern und deutsche Gesänge zur Weihe des Tages ertönen.“ (TAZ, 21. Juni 1933). Für die einzelnen Feuer auf den Hügeln rund um Erfurt waren die HJ, der nationalsozialistische Bund Deutscher Mädel (BDM), die evangelische und die katholische Jugend, die Volkshochschule, der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband und weitere Organisationen zuständig.
Mit dem Bezug auf angeblich germanische Rituale verbreiteten die Nationalsozialisten Mythen um ein germanisches Volk und leiteten daraus einen rassistisch unterlegten Nationalbegriff im Sinne einer Blut-und-Boden-Ideologie ab. Das Feuer nutzten sie als ein zentrales Symbol der „Reinigung“ und „Vernichtung“ in ihrem zerstörerischen Sinne, während in einer traditionellen Feier zur Sommersonnenwende mit einem Sonnenwendfeuer der Beginn des Sommers gefeiert und um gutes Wetter und eine reiche Ernte gebeten wird.
Starker Dauerregen veranlasste den Ortsausschuss, das gesamte Fest auf Donnerstag, den 29. Juni, zu verschieben. Doch weil der Regen anhielt, wurden die geplanten Feuer an diesem Abend weitgehend abgesagt. Die HJ dagegen plante weiterhin ihr „Sonnenwendfeuer auf der Cyriaksburg“ als „Kundgebung wider den undeutschen und Händlergeist“, beides eindeutig antisemitische Chiffren. Deshalb forderte sie „alle deutschen Volksgenossen, die noch im Besitz von undeutscher Literatur sind, auf, sie vor Beginn der Sonnenwendfeier der Hitlerjugend zur Verbrennung auszuliefern. Die Annahmestelle ist auf dem Platz besonders gekennzeichnet.“ (TAZ, 24. Juni 1933). Während für manche Orte bekannt ist, welche Bücher genau verbrannt wurden, ist dies bei Erfurt nicht der Fall. Die Formulierung „undeutsche Literatur“ in der Aufforderung der HJ verweist jedoch darauf, dass die Bevölkerung sich bei der Zensierung der eigenen Buchbestände an den „Schwarzen Listen“ der „Aktion wider den undeutschen Geist“ orientieren sollte.
Auf „dem Platz für Volks- und Jugendspiele auf der Cyriaksburg“ warf der Redner, SA-Scharführer Eugen Krause, „Bücher, die das Volk seit Jahren systematisch vergiften“, in die Flammen (MZ, 1. Juli 1933). Aufgerufen von der Hitlerjugend, beteiligten sich Erfurter und Erfurterinnen am 29. Juni 1933 freiwillig daran, Demokratie und Vielfalt zu zerstören.
Der Sportplatz des Vereins für Jugend- und Volksspiele, auf dem am 29. Juni 1933 die Bücherverbrennung stattfand, auf einem historischen Stadtplan, 1920er Jahre
© Stadtarchiv Erfurt
Blick vom ehemaligen Sportplatz des Vereins für Jugend- und Volksspiele Richtung Cyriaksburg. Die Gebäude in der Bildmitte wurden nach 1945 errichtet.
© Stadtarchiv Erfurt
Stenzel, Burkhard: Thüringen 1933: Nationalsozialistische Bücherverbrennungen und „Säuberungen“ in Volksbüchereien von „undeutschen“ Werken, Erfurt 2023 (pdf).
Stattreisen e. V., Geschichten am Wege e. V. (Hg.): „Die Flammenzeichen rauchen“: Eine Bücherverbrennung in Erfurt am 29. Juni 1933, Erfurt 2013 (pdf).